Mexiko-Projekt CACTUS
Rundbrief
Neujahr 2007
Im
Kindergarten Niláhui in Ocotlán/Oaxaca
Spendenkonto: Nr. 0100 466 181,
Sparda-Bank Köln, BLZ 370 605 90
Rosemarie
Griebel-Kruip, Gerhard Kruip
Lukas Kruip, Anna Kruip
Birkenweg 10
D-30974 Wennigsen
Tel. 05103-7668
Gerhard.Kruip@t-online.de
www.gerhard-kruip.de
Neujahr 2007
Liebe Freunde/innen, Bekannte und Verwandte!
Es tut uns leid: Dieses
Mal haben wir es leider nicht geschafft, unseren jährlichen Rundbrief vor
Weihnachten fertig zu stellen und zu versenden. Trotzdem haben einige von
Ihnen/Euch dankenswerterweise schon eine Weihnachtsspende überwiesen. Diesen
und allen anderen Spendern/innen, die das Projekt das ganze Jahr über mit
Spenden bedacht haben, sagen wir auch im Namen unserer Freunde in Mexiko ein
ganz herzliches Dankeschön.
Luz Elena und Antonio waren in diesem Sommer zusammen
mit ihren drei Söhnen Pablo, Pedro und Francisco in Deutschland zu Besuch und
haben in Hannover, Gehrden, Essen, Mainz, Reichenberg (Würzburg) und Nürnberg
über ihr Projekt berichtet. Viele von Ihnen/Euch hatten Gelegenheit, sie
wiederzusehen oder kennen zu lernen. Außerdem konnten wir dank der Gastfreundschaft
guter Bekannter unseren mexikanischen Gästen noch Unterkunftsmöglichkeiten in
Berlin, Prag und Dresden organisieren. Wir haben zusammen eine sehr schöne Zeit
mit vielen interessanten Gesprächen und mutmachenden Begegnungen erlebt, für
die wir sehr dankbar sind. Auch unseren Gästen hat es in Deutschland sehr gut
gefallen.
Für uns privat war das Jahr 2006 ein ziemlich
anstrengendes Jahr. Gerhard hat den Ruf an die Universität Mainz angenommen und
ist am 30.8. zum „Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik“ ernannt
worden. Schon seit Mai pendelt er zwischen Mainz und Hannover, da wir ja zunächst
in Wennigsen wohnen bleiben und Gerhard außerdem weiterhin das Forschungsinstitut
für Philosophie Hannover leiten wird. Rosemarie hat im Jahr 2006 sehr viel
übersetzt. Beide Entwicklungen sind ja eigentlich recht erfreulich. Trotzdem
hoffen wir, dass sich unsere Arbeitsbelastung in 2007 zumindest wieder etwas
„normalisiert“. Für Anna hat mit der 12. Klasse am Gymnasium die anstrengende
Vorbereitungszeit auf das Abitur begonnen. Lukas besucht das „Berufsgrundbildungsjahr“
für Holzfachberufe in Hannover.
Für Mexiko war 2006 ein ganz besonders problematisches Jahr. Warum, das können Sie/könnt Ihr hier zumindest in Umrissen nachlesen. Unser Projekt in Ocotlán ist jedoch trotz des schwieriger gewordenen Kontextes erfolgreich weitergelaufen.
Mit
herzlichem Gruß aus der Wennigser Mark und unseren besten Wünschen für ein gutes
neues Jahr 2007!
Rosemarie Griebel-Kruip,
Gerhard Kruip, mit Lukas
und Anna
P.S. Wie in jedem Jahr, werden
wir die Spendenquittungen für alle Spenden des Jahres 2006 im Januar oder
Februar 2007 versenden und bitten deshalb noch um etwas Geduld.
Die Arbeit von CACTUS 2006
Wie jedes Jahr berichten wir kurz auf der
Grundlage des ausführlichen Berichts von Luz Elena und Antonio über die verschiedenen
Tätigkeitsfelder: Wer detailliertere Informationen wünscht, möge sich bitte mit
uns in Verbindung setzen.
1. Kindergarten Niláhui in Ocotlán
Luz Elena mit den drei Kindergärtnerinnen
Trotz der Konflikte und Unruhen in Oaxaca (siehe
unten) konnte die Arbeit des Kindergartens erfolgreich fortgesetzt werden. Etwa
80 Kinder werden in drei Gruppen betreut und intensiv auf die Schule
vorbereitet. Luz Elena trifft sich wöchentlich mit den Erzieherinnen, um die
Arbeit ständig zu reflektieren und zu verbessern. Während der Zeit des Lehrerstreiks
in Oaxaca fiel auch an den staatlichen Schulen in Ocotlán der Unterricht aus.
Deshalb gab es viele Eltern, die ihre Kinder während dieser Zeit weiterhin in
den Kindergarten Niláhui schicken wollten. Aus diesem Grund erklärten sich die
Kindergärtnerinnen bereit, am Nachmittag zusätzlich etwa 50 Kinder zu betreuen,
um so den Streik etwas abzufangen.
Auf dem Weg zum Kindergarten
2. Genossenschaftsbank von Ocotlán
Die von CACTUS angestoßene Genossenschaftsbank
ist mittlerweile auf 4000 „Genossen“ gewachsen. Die Tatsache, dass 2006 der
Begründer solcher Kleinkreditprojekte, Muhammad Yunus aus Bangladesch (Grameen-Bank),
den Friedensnobelpreis bekommen hat, wird auch in Ocotlán als Bestärkung und
Ansporn für die Fortsetzung dieser Arbeit gesehen.
3. Wasser für Ocotlán
Das Wasserprojekt ist erfolgreicher gewesen, als
Luz Elena und Antonio selbst erwartet hatten. Zwar sind von den insgesamt durch
eine wissenschaftliche Studie vorgeschlagenen 36 Maßnahmen erst vier ergriffen
worden: zwei kleinere Staustufen des Flusses Ocotlán, finanziert durch die
Kommune und eine Stiftung namens Harp. Außerdem wurden zwei Regenrückhaltebecken
gebaut, durch die Wasser in natürliche unterirdische Reservoirs fließen kann
und diese so auffüllt.
Ein Ausflug ins karge Umland
Schon jetzt zeigt sich, dass die Brunnen wieder mehr Wasser führen und sich dadurch die Wassermangelsituation bessert. Der neue Bürgermeister von Ocotlán hat bereits zugesagt, das Projekt mit Hilfe von CACTUS weiter voranzutreiben.
4. Erwachsenenkatechese
Weiterhin besuchen ca. 200 Personen jeden Montag
Abend den Bibel-Kurs von Antonio, den er nach seinem Konzept einer
„solidarischen Katechese“ abhält.
Antonio
und Nacho Franco
Die Teilnehmer/innen erhalten dadurch nicht nur
eine Erweiterung ihrer Bibelkenntnisse und wertvolle Anleitungen zum Nachdenken
über theologische Fragen, sondern übernehmen auch Verantwortung für verschiedene
soziale Projekte, wie z.B. eine Herberge für Landbewohner, die in der Stadt
eine Unterkunft brauchen, oder für ein Waisenhaus in Oaxaca.
5. Wahlüberwachung
Antonio war wieder (wie im Jahr 2000) zum
Mitglied der Wahlbeobachtungskommission des Instituto Federal Electoral (IFE)
für Oaxaca gewählt worden, um die Einhaltung demokratischer Prinzipien bei den
Präsidentschaftswahlen im Juli 2006 mit zu überwachen. Auf der Grundlage seiner
Erfahrungen in dieser Institution bekräftigt Antonio, dass es entgegen der
Propaganda des Wahlverlierers López Obrador keinen Wahlbetrug in Mexiko gegeben
hat.
6. Besuch in Deutschland
Vom 15.7. bis 13.8.2006 waren Luz Elena und
Antonio mit ihren Söhnen Pablo, Pedro und Francisco in Deutschland zu Besuch.
Bei der Ankunft in Hannover
Bei Projektvorstellungen in Hannover, Gehrden,
Mainz, Nürnberg und Würzburg hatten viele Spender/innen und Interessierte die
Möglichkeit, sich über das Wasser-Projekt in Ocotlán zu informieren und zeigten
sich beeindruckt darüber, was CACTUS dort auf die Beine stellt. In ihrem
Kurzbericht bedanken sich unsere Freunde bei allen, die sie wiedergesehen oder
kennen gelernt haben. „Uns wurden interessante Fragen gestellt und wir haben
viel aufmunternden Zuspruch erhalten. Für die Familie González Moctezuma war es
eine unvergessliche Reise mit viel Herzlichkeit, Freundschaft und vielen neuen
Erfahrungen. Ein herzliches Dankeschön an alle!“
Pablo, Luz Elena und Antonio
in der Innenstadt von Mainz
Zur
Situation Mexikos 2006
2006 war für Mexiko ein sehr schwieriges Jahr, das gekennzeichnet war durch den knappen und umstrittenen Wahlausgang, die dadurch ausgelöste schwere politische Krise und die anhaltenden Unruhen in Oaxaca.
Felipe Calderón
Bei den Präsidentschaftswahlen am 02. Juli 2006
wurde als Nachfolger von Vicente Fox der konservative Kandidat der PAN, Felipe
Calderón mit knapper Mehrheit zum neuen Präsidenten gewählt. Sein um wenige hunderttausend
Stimmen unterlegener Gegenkandidat Andrés Manuel López Obrador (PRD) hatte die
Wahl angefochten und behauptet, es habe einen großangelegten Wahlbetrug gegeben.
Bis heute hat er die Niederlage nicht akzeptiert und sich am 21.11. zum Gegenpräsidenten
ausrufen lassen.
Andrés Manuel López Obrador
bei seiner Vereidigung als Gegenpräsident
Nachdem der Sieg Calderóns vom Bundeswahlgericht
in letzter Instanz bestätigt wurde, hat dieser sein Amt unter Protesten und
begleitet von gewalttätigen Ausschreitungen unter den Abgeordneten am 01. Dezember
2006 angetreten. Inwieweit es ihm gelingen wird, eine handlungsfähige Regierung
zu bilden, notwendige Mehrheiten im Parlament zu erreichen und politische Legitimität
zu erzeugen, lässt sich noch nicht absehen.
Großdemonstration von Anhängern von López Obrador
auf dem Zócalo in Mexiko-Stadt
Auch wenn dieses Wahldebakel einen dunklen Schatten auf die politische Kultur Mexikos warf, darf nicht vergessen werden, was durch den demokratischen Übergang von 2000 immerhin erreicht worden ist: ein Ende des PRI-Regimes, eine Überwindung des Präsidenzialismus, Fortschritte in Richtung echter Gewaltenteilung und verbesserter Transparenz der politischen Prozesse. Mexiko ist in den vergangenen 6 Jahren einer modernen Demokratie immerhin näher gekommen. Allerdings gibt es nach wie vor enorme Probleme mit der weit verbreiteten Korruption und wenig Erfolge bei der Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität und des Drogenhandels. Die Versuche von Fox, seinen Konkurrenten López Obrador schon vor den Wahlen mit unlauteren Mitteln auszuschalten, haben sicherlich erheblich zum heute vergifteten politischen Klima beigetragen.
Fox hatte dafür gesorgt, dass sich auch Mexiko
dem internationalen Vergleich seines Bildungssystems durch die PISA-Studien
stellte. Die Ergebnisse waren katastrophal. Die Qualität des Unterrichts, der
Ausbildung der Lehrkräfte, der Bildungsinfrastruktur ist sehr niedrig. Aber
Reformen lassen sich schwer durchsetzen, u.a. weil sich die mächtige Lehrergewerkschaft,
in der 1,5 Millionen Lehrkräfte organisiert sind, gegen viele notwendige Maßnahmen
sträubt.
Trotz der politischen Krise war das Land v.a.
wegen der hohen Erdölpreise ökonomisch recht erfolgreich und erreichte 2006 ein
Wachstum des BIP von ca. 4,7% bei relativ niedriger Inflation. Die
Auslandsverschuldung ist zurückgegangen und die Währungsreserven konnten stark
angehoben werden. Dank des Sozialprogramms „Oportunidades“, von dem insgesamt
25 Millionen Mexikaner/innen profitieren, gab es auch Erfolge bei der
Armutsbekämpfung. Trotzdem müssen immer noch etwa 36% der Mexikaner/innen mit
weniger als 2 US-Dollar am Tag auskommen. Auch die Arbeitslosigkeit ist nach
wie vor hoch. Die Zahl der neu entstehenden Arbeitsplätze wächst langsamer als
die Bevölkerung. Das Steuersystem trägt kaum zur Linderung der sozialen
Ungleichheit bei. Mit 10% hat Mexiko die niedrigste Steuerquote innerhalb der
OECD-Länder.
Die anhaltende soziale Krisensituation des
Landes wurde besonders in Oaxaca sichtbar. Im Mai 2006 traten dort 70.000
Lehrer in einen Streik, um für eine höhere Besoldung zu kämpfen.
Demonstration in Oaxaca
Weil die Regierung des Bundesstaates unter dem als unfähig und korrupt angesehenen Gouverneur Ulises Ruiz (PRI) auf die Forderungen gar nicht einging, sondern versuchte, die Bewegung durch Repression zu stoppen, eskalierte die Situation. Viele weitere Gruppen der Zivilgesellschaft solidarisierten sich mit den Lehrern und gründeten die APPO (Asamblea Popular de los Pueblos Oaxacaqueños). Fünf Monate lang hielten sie mit Barrikaden, Demonstrationen und Besetzungen von Ämtern, der Universität, Radiosendern und anderen öffentlichen Gebäuden die Stadt in Atem, verhinderten ein normales Leben und sorgten u.a. dafür, dass die Touristen, die Haupteinnahmequelle der Wirtschaft Oaxacas, monatelang ausblieben.
Massive Polizeigewalt in Oaxaca
1,3 Millionen Kinder konnten 4 Monate lang nicht zur Schule gehen. Politische Extremisten, aber auch einfache Kriminelle machten sich die Situation zunutze. Luz Elena und Antonio schrieben uns: „Oaxaca erlebte ein Klima der Gewalt und der Guerilla.“ Durch eine massive Intervention der Bundespolizei am 29.10. wurden die Aktivisten der APPO zunächst aus der Stadt herausgedrängt, bliesen aber am 25.11. zum Gegenangriff.
Ausgebrannte Fahrzeuge nach Barrikadenkämpfen in
Oaxaca
Busse und Autos, das Theater „Juárez“ und der Justizpalast gingen in Flammen auf. Die Bundespolizei nahm eine große Zahl von Aktivisten der APPO fest, die Berichten zufolge teilweise sogar gefoltert wurden. Inzwischen ist offenbar weitgehend Ruhe eingekehrt. Die Bundespolizei hat sich wieder zurückgezogen. Mit der Lehrergewerkschaft konnte eine Einigung über Lohnerhöhungen erzielt werden. Aber das Hauptziel der APPO, der Rücktritt des verhassten Gouverneurs Ulises Ruiz, ist noch nicht erreicht. Und solange er noch im Amt ist, wird es wahrscheinlich keine politische Normalität in Oaxaca geben.
Monte Alban, eine der
wichtigsten Touristenattraktionen in Oaxaca.
Nach Meinung von Luz Elena und Antonio waren die
Lohnforderungen der Lehrergewerkschaft schon gerechtfertigt. Zugleich muss aber
gesehen werden, dass es in dieser Gewerkschaft selbst korrupte Strukturen gibt,
durch die viele Missstände verschleiert und perpetuiert werden: unrechtmäßig erworbene
Titel, unkontrollierte Fehlzeiten, Ämterkauf, schlechte Qualität des Unterrichts,
10.000 offiziell eingestellte Lehrer, die in Wirklichkeit aber nicht arbeiten
usw. Auch die Forderungen der APPO seien im Prinzip gerechtfertigt. Die
PRI-Regierung von Oaxaca habe hohe Subventionen von seiten des Bundesstaates
bekommen, das Geld sei aber in dunklen Kanälen versickert. Es gebe keine
Verwendungsnachweise und keinerlei Kontrolle. Die Regierung Ulises sei korrupt,
wirtschafte in die eigene Tasche und habe immer wieder illegale Repressionsmaßnahmen
ergriffen. Aber die von der APPO eingesetzten Mittel hätten viel dazu
beigetragen, die Ziele der Bewegung zu diskreditieren und große Teile der
Bevölkerung eher abzuschrecken, als zur Solidarität und Mitarbeit einzuladen.
Die langen Fehlzeiten in den Schulen, der ausbleibende Tourismus, die
absichtlich gelegten Brände und die Barrikadenkämpfe hätten vielen Menschen in
Oaxaca und der Wirtschaft des Bundesstaates insgesamt schweren Schaden
zugefügt. Auch wenn in der Führung der APPO viele verantwortungsbewusste
Bürger/innen mitgearbeitet hätten, zumindest zeitweise hätten radikale Extremisten
die Macht übernommen und jede vernünftige Lösung verhindert. Die Menschen in Oaxaca
wollten Veränderungen, aber nicht so und nicht zu diesen Kosten, so Luz Elena
und Antonio in ihrem Bericht. Für die Zukunft müsste vor allem daran gearbeitet
werden, dass auch auf der Ebene der Bundesstaaten die Kontrolle und Transparenz
staatlicher Macht verbessert wird, dass Elemente direkter Demokratie eingeführt
werden (einschließlich von Initiativen zur Abwahl von Gouverneuren) und dass
dann eine Politik gemacht wird, die den Armen in Oaxaca wirklich zugute kommt.
Investitionen in eine verbesserte Qualität der Bildung gehörten dabei sicherlich
zu den entscheidenden Schritten.