Mexiko-Projekt CACTUS

 

Rundbrief

Weihnachten 2000

 

 

Spendenkonto: Nr. 0100 466 181

Sparda-Bank Köln, BLZ 370 605 90

 

Rosemarie Griebel-Kruip

Gerhard Kruip

 

Neue Anschrift:

Birkenweg 10

D-30974 Wennigsen

Tel. u. Fax: 05103-7668

 

Weihnachten 2000

 

Liebe Unterstützer/innen unseres Mexiko-Projektes, liebe Freunde/innen, Bekannte und Verwandte!

 

Einige von Ihnen/Euch haben es schon auf anderem Wege erfahren: Wir sind umgezogen! Gerhard hat ab Juni die Leitung des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover (http://www.fiph.de) übernommen, das eine stärker sozialethische (praktisch-philosophische) Ausrichtung bekommen sollte. Das FIPh ist ein kleines wissenschaftliches Institut, das von einer Stiftung des Bistums Hildesheim getragen wird. Rosemarie hat ihre Stelle beim Patmos-Verlag aufgegeben, arbeitet aber freiberuflich weiter und übersetzt Kinder- und Jugendbücher. Auf der Suche nach einem Haus mit Garten sind wir in der Wennigser Mark gelandet, 22 km südwestlich von Hannover, am Fuße des Deister, der immerhin bis zu 400 Meter ansteigt und schöne Spaziergänge im Wald zu bieten hat. Obwohl Arbeitsplatzwechel und Umzug mit viel Aufwand und Arbeit verbunden waren, fühlen wir uns inzwischen recht wohl. Auch Lukas und Anna haben den Einstieg in ihre neuen Schulklassen gut geschafft und viele neue Freunde/innen gefunden. Wer uns besuchen möchte, ist herzlich dazu eingeladen!

 

Mit diesem Rundbrief geben wir wie jedes Jahr die wichtigsten Informationen aus der Arbeit von CACTUS weiter. Wir bedanken uns vor allem auch im Namen von Luz Elena Moctezuma und Antonio González ganz herzlich bei euch/Ihnen für die Spenden, die in 2000 eingegangen sind und es uns ermöglichen, unser "Mexiko-Projekt" kontinuierlich zu fördern. Im Februar 2001 wird Gerhard Gelegenheit haben, das Projekt für ein paar Tage zu besuchen, um dann ausführlicher und aus erster Hand berichten zu können.

 

Wie in jedem Jahr, werden wir die Spendenquittungen für alle Spenden des Jahres 2000 im Februar 2001 versenden und bitten deshalb noch um etwas Geduld.

 

"Das Jahr 2000 wird für Mexiko ein besonders spannendes Jahr." So hatten wir es im letzten Rundbrief angekündigt. Und tatsächlich: Nach 71 Jahren PRI-Herrschaft hat der Oppositionskandidat Vicente Fox die Präsidentschaftswahlen gewonnen und damit die Karten der mexikanischen Politik ganz neu gemischt. Hoffen wir, das es ihm gelingt, die großen Herausforderungen anzugehen: Armutsbekämpfung, weitere Demokratisierung, Bekämpfung von Korruption und Kriminalität usw. Wir hoffen auch, dass der aktuelle Ausbruch des in der Nähe von Mexiko-Stadt gelegenen Vulkans Popocatépetl (über diesen schönen Namen stolpert fast jeder Nachrichtensprecher) glimpflich abgeht.

 

Euch/Ihnen allen wünschen wir ein Frohes Weihnachtsfest und einen guten Start in's Jahr 2001!

 

Mit herzlichem Gruß!

 

Rosemarie Griebel-Kruip, Gerhard Kruip

 

P.S. An diejenigen, von denen wir ein e-mail haben, versenden wir unsere Broschüre auf elektronischem Weg - allerdings ohne Titelbild. Wenn dies sonst noch jemand wünscht, bitten wir um Mitteilung Ihres/Eures e-mails. Wer umgekehrt lieber die Broschüre bekommt als das e-mail, möge es uns bitte auch mitteilen.

Das Foto auf der Titelseite zeigt Kinder aus Metlatonoc in Guerrero, einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Quelle: Jornada, 13.11.2000, Tomás Bravo.

 

Die Arbeit von CACTUS 2000

 

Präsidentschaftswahlen

Wie schon im Rundbrief des vergangenen Jahres berichtet wurde, ist Antonio González im Bundesstaat Oaxaca in die Kommission zur Überwachung der Präsidentschaftswahlen berufen worden. Er konnte damit dazu beitragen, dass die Wahlen im Sommer dieses Jahres tatsächlich fair und demokratisch abgelaufen sind. Unter anderem hatte er mitzuentscheiden, wie die Wahlausschüsse auf der Ebene der Distrikte besetzt würden. Außerdem gab die Kommission Broschüren heraus, in denen allgemeinverständlich über die Wahlen informiert und vor den Tricks der Wahlmanipulation und des Stimmenkaufs gewarnt wurde. Es war wichtig, gerade bei den armen Menschen auf dem Land das Vertrauen zu schaffen, dass ihre Stimme tatsächlich geheim bliebe und sie keine Sanktionen zu befürchten hätten, wenn sie die Opposition wählen würden. Um so größer war natürlich die Freude, dass es tatsächlich möglich wurde, dass nach jahrzehntelanger Herrschaft der Staatspartei PRI der Kandidat der oppositionellen PAN, Vicente Fox, die Wahlen gewonnen und inzwischen auch sein Amt angetreten hat. Nach Einschätzung von Luz Elena und Antonio ist es auch der kontinuierlichen, jetzt schon 30 Jahre fortgeführten Bewusstseinsbildungsarbeit kirchlicher Gruppen und anderer Nicht-Regierungs-Organisationen zu verdanken, dass ein solch tiefgreifender Wechsel stattgefunden hat.

 

Diejenigen, mit denen CACTUS vor allem in Ocotlán zusammenarbeiteten, machten eine intensive Bewusstseinsbildungsarbeit zu Gunsten der "strategischen Stimmabgabe" ("voto útil"). Das heißt, es wurde dafür geworben, das Ziel einer Beendigung der PRI-Herrschaft über alle anderen politischen Präferenzen zu stellen. Nur so war es möglich, dass auch viele Menschen mit eher "linken" Überzeugungen, die bei früheren Wahlgängen für den PRD-Kandidaten Cuauhtémoc Cárdenas gestimmt hatten, nun ihre Stimme Vicente Fox gaben, der ja Kandidat der traditionell eher konservativ-katholischen Oppositionspartei rechts von der PRI war. Nur durch dieses Wahlverhalten vieler "linker" Wähler konnte Fox gewinnen. Luz Elena und Antonio betrachten dieses Wahlverhalten als Ausdruck der politischen Reife der Mexikaner/innen.

 

Kindergarten Niláhui

Einnmal wöchentlich arbeitet Luz Elena mit den drei Erzieherinnen des Kindergartens Niláhui in Ocotlán, um ihre Arbeit zu begleiten und zu unterstützen. Die drei Erzieherinnen bekommen ihre Gehälter aus unseren Spendenmitteln, wofür etwa die Hälfte der Gesamtsumme aufgewandt wird. Um den Bau des Kindergartens zu vollenden (v.a. Wasserversorgung), ist es CACTUS gelungen, eine großzügige Unterstützung der Gemeinde Ocotlan in Höhe von 126.000 Pesos (etwa 14.000 DM) zu bekommen

 

Genossenschaftsbank und Bürgermeisteramt in Ocotlán

Die Genossenschaftsbank ist eine Gründung von CACTUS (1992) und der derzeitige Bürgermeister von Ocotlán ist aus der Basisarbeit von CACTUS hervorgegangen. Sowohl die Bank wie auch der Bürgermeister erhalten weiterhin Unterstützung von CACTUS in Form von Beratung und Fortbildung ihrer Mitarbeiter/innen. Insbesondere hat sich CACTUS für das Projekt einer Kläranlage der Abwässer von Ocotlán eingesetzt.

 

Weiterer Kindergarten

Schon 1999 gab es das Projekt, in einem anderen Stadtteil von Ocotlán einen weiteren Kindergarten aufzubauen. Ein Grundstück dafür gibt es bereits. Verschiedene Versuche im Laufe des Jahres 2000, die notwendigen Mittel für den Bau zusammenzubringen, sind jedoch bislang gescheitert. Jetzt wird u.a. mit der Genossenschaftsbank verhandelt, ob sie Mittel zur Verfügung stellen kann.

 

Katechismus

Weiterhin sind Luz Elena und Antonio davon überzeugt, dass der soziale Wandel in Lateinamerika stark von den religiösen Überzeugungen der Menschen abhängt, so dass religiöse Erziehung und Bildung nach wie vor große Bedeutung für die Entwicklung des Landes haben. Ein Katechismus, der von der Theologie der Befreiung geprägt ist, kann einen entscheidenden Beitrag zur Mobilisierung der Menschen leisten. Er wird eine größere praktisch-politische Bedeutung haben, als diese Theologie selbst. Derzeit arbeitet Antonio neben vielen Einzelkursen im Auftrag des Bischofs Héctor González an einer aus 30 Heften bestehenden Umsetzung des Weltkatechismus für Menschen in der Diözese Oaxaca. Im April ist das erste Büchlein erschienen. Die erste Auflage von 6000 Exemplaren war schnell vergriffen, so dass eine zweite von 3000 Exemplaren produziert wurde. Auf dem Nationalen Katechetenkongress im November in Guadalajara wurde das Katechismus-Projekt vorgestellt und stieß auch dort auf großes Interesse.

 

Arbeit mit Hispanics in den USA

Anders als im Sommer 1998 und 1999 sind Luz Elena und Antonio wegen der mexikanischen Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr nicht zu ihrer Arbeit mit mexikanischen Migranten in die USA gefahren.

 

Immer wieder betonen Antonio und Luz Elena, wie wichtig es für sie ist, auf unsere kontinuierliche unbürokratische Hilfe zählen zu können. Und dabei geht es nicht nur um die finanziellen Mittel. Von großer Bedeutung ist auch das Gefühl, aus dem fernen Deutschland und von deutschen Freunden Wertschätzung und Anerkennung zu erfahren für eine Arbeit mit den Armen, eine Arbeit, die auch in Mexiko inzwischen nicht mehr das Ansehen genießt wie zu der Zeit, als die Bereitschaft zur Solidarität mit den Armen und zum Kampf für ein alternatives politisches Projekt noch eher zum "main-stream" gehörten als heute. Wir bewundern es sehr, dass Antonio und Luz Elena ihre Option trotz der notwendigen Sorge um ihre drei Kinder und trotz ihrer enormen Begabungen, die sie auch hätten anders einsetzen können, bis heute durchgehalten haben.

 

 

Verwendung der Spendengelder

 

Wir haben 2000 DM 28.000 an CACTUS überwiesen (teilweise stammte das Geld noch aus Einnahmen von 1999). Die Summe wurde wie folgt verwendet:

 

49,3%    für die Bezahlung von drei Kindergärtnerinnen in Ocotlán (Min­destlohn in Höhe von ca. DM 400 im Monat),

 

17,8%    für die ökonomische Unterstützung von Luz Elena und Antonio (etwa 1 Mindestlohn für beide),

 

13,2%    für den Bau des Kindergartens in Ocotlán (Kreditrückzahlung, letzte Rate)

 

8,4%     für das Katechismus-Projekt

 

11,3%    für verschiedene Ausgaben bzw. Rücklage

 

(Wegen des schwachen Euros und des gleichzeitig gegenüber dem Dollar überbewerteten mexikanischen Peso haben unsere Freunde leider derzeit nicht so viel von unseren Spenden wir in den Jahren davor.)

 

 

Zur aktuellen Situation in Mexiko

(Im folgenden verwende ich in Auszügen meinen Artikel in der Herder-Korrespondenz, Sept. 2000, 478-482)

Im Sommer berichteten die Medien weltweit von einem historischen Ereignis, mit dem die inzwischen insgesamt über 98 Millionen Bürger/innen Mexikos eine neue Epoche einleiteten: dem Wahlsieg des Kandidaten der oppositionellen Partei Nationale Aktion (PAN) mit 42,52% der Stimmen über die seit 71 Jahren ununterbrochen regierende "Partei der Institutionalisierten Revolution" (PRI). Damit geht ein von vielen Politologen wegen seiner Flexibilität und Stabilität fasziniert betrachtetes autoritäres Regime zu Ende, dem es durch eine ausgeklügelte Balance von "Zuckerbrot und Peitsche", durch Nepotismus, Korruption und selektive Repression, in Verbindung mit einer geschickten Kombination progressiv-revolutionärer und nationalistischer Rhetorik gelungen war, alle oppositionellen Bestrebungen entweder zu integrieren oder zu marginalisieren und auf diese Weise so lange an der Macht zu bleiben, dass die PRI im Bewusstsein der meisten Mexikaner/innen den Charakter des Ewigen und Unabänderlichen bekam. Als die ersten Umfragen und Hochrechnungen am Wahlabend des 2. Juli einen klaren Sieg des PAN-Kandidaten Vicente Fox vorhersagten, hielt das Land deshalb zunächst den Atem an. Denn trotz des entschiedenen Eintretens des amtierenden PRI-Präsidenten Ernesto Zedillo für eine echte Demokratisierung gab es bis zuletzt Zweifel, ob das Regime einen Machtwechsel wirklich akzeptieren würde. Erst als am selben Abend Zedillo und der Kandidat der PRI, Francisco Labastida, die erstaunlich deutliche Niederlage eingestanden (Labastida erhielt 36,10%) und dem Sieger gratulierten - was bei den als "Dinosaurier" bezeichneten Hardlinern innerhalb der PRI übrigens als "Verrat" kritisiert wurde -, wurde das Land von einem ungehinderten Siegestaumel erfasst. Diese Euforie riss sogar diejenigen mit, die für den linksoppositionellen Kandidaten der "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) gestimmt hatten, sich nun aber trotz des erstaunlich schlechten Abschneidens von Cuauhtémoc Cárdenas (16,64%) darüber freuten, dass zumindest die PRI geschlagen war.

Wer ist dieser Mann, dem es gelungen ist, die PRI zu stürzen? Es war ein großer Vorteil von Fox, den er in seiner Kampagne auch immer wieder zu nutzen verstand, dass er nicht zu "den Politikern" gehört, sondern erst relativ spät, als intellektuell und finanziell unabhängiger Bürger in die Politik gegangen ist, um das Land zu verändern. Er galt sogar unter politischen Freunden als Außenseiter. Macht und Geld scheinen für den am Wahltag 58 Jahre alt gewordenen Fox tatsächlich nicht an erster Stelle zu stehen. Fox ist aufgewachsen in dem als besonders katholisch und konservativ geltenden Bundesstaat Guanajuato, der in den 20er und 30er Jahren eines der Zentren des katholischen Widerstands gegen den Antiklerikalismus der mexikanischen Revolution gewesen ist. Er begann seinen beruflichen Werdegang nach einem betriebswirtschaftlichen Studium als kleiner Getränkelieferant und arbeitete sich dann zum Generalmanager von Coca-Cola in Mexiko empor, bevor er sich 1979 aus privaten  Gründen auf das Landgut seiner Familie zurückzog. Er repräsentiert einen Typ des erfolgreichen Unternehmers, der einen gesunden Pragmatismus mit einer offenbar starken religiösen Bindung und sozialem Verantwortungsbewusstsein verbindet. Er orientiert sich auf Grund seiner Nähe zur "Katholischen Soziallehre" an ordoliberalen Konzepten einer "Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung", wie der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" in Lateinamerika inzwischen häufig übersetzt wird. Die "Option für die Armen" ist ihm als Schüler lateinamerikanischer Jesuiten durchaus nicht fremd. Seine politische Karriere begann nach seinem Beitritt zur PAN 1988 als Gouverneur von Guanajuato zwischen 1995 und 1999, wo er seine politischen Fähigkeiten unter Beweis stellte. Er umgibt sich mit hoch angesehenen Beratern aus unterschiedlichen politischen Lagern, unter ihnen etwa Jorge Castañeda, der bis kurz vor den letzten Wahlen noch zum Team von Cárdenas gehört hatte.

Natürlich ist der Wechsel nur zu erklären, wenn man die hinter ihm liegenden, tiefgreifenderen Modernisierungsprozesse berücksichtigt, von denen Mexiko in den letzten Jahrzehnten erfasst worden ist. Wie überall sind dies Prozesse der Ablösung der Menschen aus traditionellen Milieus, der Individualisierung und Pluralisierung, die mit höherer sozialer und geografischer Mobilität, höherer formaler Bildung und dynamischer Urbanisierung verbunden sind. Gewählt wurde Fox denn auch von diesem "modernen Mexiko", den jüngeren Mexikanern/innen mit besserer Schulbildung aus den großen Städten vor allem im Norden und im Zentrum, während die Menschen auf dem Land im traditionellen Südwesten und Süden weiterhin überwiegend PRI gewählt haben, vielfach sicherlich aus Gewohnheit, häufig aus Angst, wahrscheinlich selten aus reflektierter politischer Überzeugung. Hier deutet sich bereits eine erste politische Herausforderung für Fox an, denn so sehr er auch das moderne Mexiko repräsentiert, die Partei PAN, die ihn als Kandidaten aufstellte, hat ihre Widerstandskraft gegen das PRI-System lange Zeit aus den traditionellen Ressourcen eines katholischen Milieus bezogen und wird immer noch durch einen konservativ-katholischen Kern dominiert, der in manchen seiner fast schon fundamentalistischen Bestrebungen eher einer rückwärtsgewandten "Gegenmoderne" entspricht, als den individuellen und gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen der Mehrheit seiner Wähler. Fox ist sich der damit verbundenen Probleme bewusst und hat deshalb auch schon zum Ärger mancher Parteistrategen klar gemacht, er sei es, der regieren werde, nicht die PAN.

Der neu gewählte mexikanische Präsident, der sein Amt am 1. Dezember angetreten hat sieht sich einer Reihe schwieriger Herausforderungen gegenüber. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage Mexikos nach dem massiven Einbruch 1994/95 wieder erheblich gebessert. Die Wachstumsraten der letzten Jahre waren hoch (jährlich mehr als 5%). Die TLC-Verträge mit den USA und Kanada haben dank der anhaltend dynamischen Konjunktur in den USA erheblich zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen. Durch das am 1.7.2000 in Kraft getretene Freihandelsabkommens mit der EU wurden die Voraussetzungen für eine stärkere Diversifizierung der Exporte geschaffen, um sich aus der starken Abhängigkeit von den USA (bisher gehen 90% der mexikanischen Ausfuhren in die USA) zu lösen. Die hohen Erdölpreise haben die Einnahmesituation des Staates zusätzlich verbessert. Die Inflation konnte durch die konsequente Politik der inzwischen unabhängigen mexikanischen Zentralbank wieder auf Werte um 10% herunter geführt werden, die Auslandsverschuldung bewegt sich in einem zwar weiterhin hohen, aber verkraftbarem Rahmen. Aber die Erwartungen der Bevölkerung, von der immer noch mehr als die Hälfte zu den Armen gerechnet werden muss, sind sehr hoch. Eine jüngst vom nationalen Statistik-Institut INEGI veröffentlichte Studie belegt, dass die extreme Ungleichheit der Einkommen in den letzten Jahren noch zugenommen hat. Die zehn Prozent reichsten mexikanischen Haushalte verfügen über 38,11% (1996 waren es noch 36,60%) aller Einkommen, während die ärmsten 10% nur über 1,5%, die ärmsten 40% immer noch nur über 12,47% der Einkünfte verfügen. 40% der Mexikaner/innen müssen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen.

Will das Land die Voraussetzungen für eine positive Entwicklung unter den Bedingungen der Globalisierung schaffen, muss neben der direkten Armutsbekämpfung präventiv ein funktionierendes System sozialer Sicherung geschaffen, das Rechtssystem nach rechtsstaatlichen Kriterien reformiert, die vielfach eingespielte Korruption bekämpft, eine effektive Steuererhebung etabliert und sehr viel mehr als bisher in Erziehung und Ausbildung investiert werden.

Insgesamt ist der historische Einschnitt so gewaltig, dass von einer umfassenden Reform des gesamten Landes, angesichts des alle Bereiche des öffentlichen Lebens durchdringenden Machterhaltungssystems der PRI sogar von einer Kulturrevolution gesprochen werden muss. Fox hat seinen Wahlsieg selbst mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen. Entsprechend langfristige und grundlegende Weichenstellungen sind erforderlich. Für die Umsetzung seiner politischen Ziele bleibt Fox auf die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien angewiesen, denn er hat im Parlament nur eine relative Mehrheit, im Senat unterstützt ihn nur die zweitgrößte Gruppe, während die einfache Mehrheit noch von der PRI gehalten wird.

Ein erster Test für die Ernsthaftigkeit der PRI, den demokratischen Machtwechsel zu akzeptieren, waren die Gouverneurswahlen im Bundesstaat Chiapas am 20. August, bei denen der gemeinsame Kandidat der Opposition gewonnen hat. Dies war auch eine wichtige Voraussetzung für eine Lösung des Konflikts in Chiapas. In seiner etwas flapsigen Art hatte Fox während des Wahlkampfes angekündigt, das Problem "in 15 Minuten" vom Tisch zu bekommen. Mittlerweile hat er dem Guerillachef der Zapatisten, Subcomandante Marcos, auf der Basis der bereits erreichten Ergebnisse von San Andrés Verhandlungen angeboten und einen Rückzug der Militärs angekündigt. Marcos hat inzwischen positiv darauf reagiert. Doch die PRI ist noch nicht überall entmachtet und es ist eine offene Frage, welche Ressourcen des Machterhalts auf der Ebene der von ihr noch regierten mexikanischen Bundesstaaten sie zu mobilisieren vermag. Noch verfügt sie über die starken Gewerkschafts-, Bauern- und Volksorganisationen, die so genannten "Sektoren", die bisher korporatistisch in die Partei- und Staatsstrukturen einbezogen waren. Natürlich sind das Band des gemeinsamen Machterhaltungsinteresses geschwächt und die Möglichkeiten sowohl der Verteilung von Pfründen wie der Einschüchterung reduziert. Aber die jahrzehntelang eingespielten Mechanismen dürfen sicherlich nicht unterschätzt werden. Viel wird davon abhängen, ob die PRI so geschwächt wird bzw. ob relevante Teile der PRI aus pragmatischen Interessen sich der PAN, andere Teile aus ideologischer Affinität der PRD anschließen, so dass sich mit PAN und PRD ein Zwei-Parteien-System etabliert, oder ob sich ein sehr viel weniger überschaubares Drei-Parteien-Gefüge einspielt. Auch ist es eine offene Frage, ob die PRD der Versuchung erliegt, gegenüber Fox eine Fundamentalopposition zu betreiben und ihn dadurch in eine Zusammenarbeit mit den bisherigen Machthabern zu zwingen, oder ob es den beiden Parteien, die bislang gegenüber der PRI in Opposition standen, gelingt, besser als bisher zusammenzuarbeiten, um das zarte Pflänzchen der Demokratie weiter wachsen zu lassen. Noch ist nicht ausgemacht, welche Lager sich langfristig bilden und in welchem Kräfteverhältnis sie zueinander stehen werden. Die politische Entwicklung Mexikos bleibt spannend.

 

Kirche in Mexiko

Großen Anteil am Demokratisierungsprozess Mexikos hat auch die katholische Kirche. Seit dem Neuaufbruch der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellín 1968 und für Mexiko besonders seit Puebla 1979 hat eine mehr oder weniger befreiungstheologisch ausgerichtete Kirche vor allem in geduldiger und langfristig angelegter pastoraler Basisarbeit in Bildungsprojekten, in Basisgemeinden, in der Förderung von Kooperativen und Nicht-Regierungs-Organisationen sowie der öffentlichen Kritik gesellschaftlicher Missstände einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass die Menschen selbstbewusster und politisch mündiger wurden. Spätestens seit dem kirchlichen Protest gegen den Wahlbetrug 1986 in Chihuahua gehörte der Kampf für Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte sowie die Kritik an allen Formen der Korruption zum Standardrepertoire kirchlicher Stellungnahmen. Die Bischöfe ließen sich von ihrer Kritik auch nur wenig dadurch abhalten, dass die PRI-Regierung mit einer rechtsstaatlichen Regelung des seit der Revolution ungeklärten Staat-Kirche-Verhältnisses durch eine 1992 in Kraft getretene Verfassungsänderung die kirchliche Hierarchie für die eigenen Zwecke der Legitmitätserzeugung einzuspannen versuchte. Am 25. März 2000, wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen, traten die Bischöfe mit einem umfangreichen Hirtenwort unter dem Titel "Von der Begegnung mit Christus zur Solidarität mit allen", dem bedeutsamsten Dokument seit Anfang der 70er Jahre, an die Öffentlichkeit. Die Bischöfe konstatierten einen dringenden Reformbedarf im Land. Trotz guter makroökonomischer Daten gebe es immer noch eine zu große soziale Ungleichheit und Marginalisierung. Die Armut habe in den letzten Jahren noch zugenommen und die Vorteile des Globalisierungsprozesses seien nur wenigen zu Gute gekommen. Angesichts der genannten Probleme, forderten sie die Mexikaner/innen ganz im Sinne der Vorstellung einer die gesellschaftlichen Belange offen diskutierenden Zivilgesellschaft, durch die sich die "Subjektivität der Gesellschaft" realisiert, dazu auf, "Orte der Begegnung, des Dialogs und der Reflexion zu schaffen. In der öffentlichen Diskussion spielten besonders die auf die Wahlen bezogenen Äußerungen eine Rolle. Die Bischöfe forderten eine umfassende politische Partizipation aller und ein Wahlrecht, das endlich den Wahlbetrug und die Ungleichheit der Chancen überwindet. Sie kritisierten den immer noch verbreiteten Stimmenkauf und die Einschüchterungspraktiken, die zu einer "Stimmabgabe aus Angst" führten. Immer noch bestehe deshalb die Gefahr einer "autoritären Regression", sogar auf dem Wege von Wahlen. Sie betonten, dass zu einem wirklichen Übergang zur Demokratie auch die "reale Möglichkeit" eines Regierungswechsels gehöre - eine Textpassage, die den Oppositionskandidaten natürlich sehr gelegen kam und dementsprechend ausgeschlachtet wurde. Fox hat sogar tausende Exemplare des Hirtenwortes in seinem Wahlkampf verteilt.

In einem bemerkenswerten Kontrast zu diesem öffentlichen Eintreten für mehr Partizipation, Transparenz und demokratische Rechte steht der kirchliche Umgang mit internen Konflikten. Auf großes Unverständnis stieß  - wenn man zwischen den Zeilen liest sogar beim Hauptbetroffenen - die Ernennung von Raúl Vera López zum Bischof von Saltillo. Nach harten innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die pastorale und politische Arbeit von Bischof Samual Ruiz García in San Cristóbal de Las Casas (Chiapas) war Vera 1995 zu dessen Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge berufen worden. Was anfänglich als ein Disziplinierungsversuch für Ruiz betrachtet wurde (vielleicht auch so gedacht war) entpuppte sich als Unterstützung seiner Arbeit, weil sich Vera sehr gut auf die Situation in Chiapas einstellte, entschieden für die Rechte der indigenen Gruppen eintrat, Menschenrechtsverletzungen durch die lokalen Behörden und besonders das Militär kritisierte. Als nun Anfang 2000 Samuel Ruiz aus Altersgründen vom Bischofsamt zurücktrat, wurde allgemein erwartet, dass Vera ihm nachfolgen würde. Die wenig plausible Entscheidung des Vatikans, ihn zum Bischof von Saltillo zu ernennen, konnte fast nur als ein neuerlicher Versuch verstanden werden, durch die Berufung eines anderen Bischofs nach San Cristóbal das Ruder der dortigen pastoralen Arbeit, die durch eine Diözesansynode vor dem Ausscheiden von Ruiz nochmals bekräftigt worden war, doch noch herumzureißen. Doch so eindeutig liegen die Dinge auch wieder nicht. Denn mit dem sechzigjährigen Felipe Arizmendi Esquivel ist ein Bischof nach San Crist¢bal berufen worden, der als ehemaliger Bischof von Tapachula die Situation in Chiapas gut kennt, lange Jahre solidarisch mit Samuel Ruiz zusammengearbeitet hat und in seinen bisherigen öffentlichen Äußerungen vor allem den Willen zur Kontinuität bekundet.